Der Verstand findet einen Weg, den Karabiner brüchig oder das Seil spröde zu denken. Dafür malt er mir, ganz ungefragt, lebendige Bilder in den Kopf. Darüber, wie der Karabiner an der kritischen Stelle aufgeht. Wie das Seil unter meiner Last nachgibt. Wie ich in die Tiefe sause. Das Ende im wunderschönen Hochseilklettergarten.
Beim unsicheren Schritt auf die nächste Plattform sehe ich das äußere Brett unter meinem zittrigen Fuß wegbrechen. Die Stahlstangen, die mich leiterartig einen Baumstamm emporklettern lassen, deuten mit ihrem Klackern das an, wofür ich Gewissheit zu haben scheine: Bei der nächsten Gelegenheit lassen sie mich im Stich und schrecklich verenden.
Dabei scheint nicht das Verenden das Schreckliche zu sein. Denn dann ist dieser Eiertanz endlich vorbei. Was mich zittern lässt, ist die Angst vor diesem einen Augenblick, wenn die Stahlstange aus dem Baum abfällt. Ich sie, lose in meiner Hand liegend, anschaue, während ich nach hinten vom Baum wegkippe und realisiere: Nichts geht mehr.
Dass der mich sichernde Karabiner mehrere Tonnen hält, ist für diese Bilder egal. Die gewissenhafte Fertigung der Kletterseile, derer sich hunderte Alpinisten im Gebirge anvertraut haben, spielt nicht mal eine kleine Rolle. Das Konzert des Misstrauens trötet ohrenbetäubend und ohne Unterlass.
Wenn Misstrauen dröhnt, zittere ich
Wie ein Orgelkonzert im Louvre gehen die Klänge dieser Misstrauens-Symfonie durch Mark und Bein. Meine Beine sollen funktionieren. Der Absturz ist doch ohnehin schon so nah. Doch selbst auf der sicheren Plattform kommen sie aus dem Zittertanz nicht mehr heraus. Ich fühle mich, als wäre ich überall, nur nicht in der Gegenwart. Und doch klebt mich mein Misstrauen wie zehn Lagen Duct-Tape an jedem angsteinflößenden Moment fest. So stark, als hätte ich keine Vergangenheit und keine Zukunft.
Eigentlich nicht schlecht, denke ich, während ich auf einer Plattform unter den Baumkronen mal wieder nach meiner Fassung suche. Was will ich mehr, als in der Gegenwart und im Moment verweilen? Ein schöner Gedanke. Den Herzrasen, Schweißausbruch und Nackenverspannung prompt aus meinem Kopf wummern. Und tatsächlich, in der halben Stunde, die ich bislang an, auf und mit den Bäumen zitterte, wagte ich keinen Blick in die Ferne. In das Grün des Waldes, das mich so fasziniert und erdet.
Wie albern, schießt es mir in den Kopf. An dem Ort, an den ich sonst gehe, um Ruhe zu finden, klar zu werden und mich zu verbinden, raube ich mir den letzten Nerv. Genießen, Spaß haben, draußen und aktiv sein, deshalb kam ich her. Doch jetzt grummeln Magen und Misstrauen um die Wette und möchten mich heimschicken, unruhig, belegt und geradezu zerlegt.
Wie soll ich Todesangst genießen?
Während ich diese Gedanken kreisen lasse, überlege ich mir: Was fehlt? Damit ich den Ausflug ins Grüne doch noch genieße und vor lauter Zittern nicht vom Baum vibriere. Nicht alles ist schlecht, hier oben. Solange die Angst nicht lähmt, fühle ich mich herrlich lebendig. Ich spüre jede Faser meines Körpers. Das Herz pulsiert, der Brustkorb hebt sich vehement und bald erzählen Schürfwunden am ganzen Körper davon, dass ich auch außerhalb des Büros lebe.
An den Gedanken zum Verweilen in der Gegenwart ist etwas Wahres dran. Gefühlte Todesangst hat keine Zeit sich zu überlegen, wessen Geburtstag gestern war oder welche Pflichten morgen anstehen. Mehr im Hier und Jetzt geht nicht. Dennoch suche ich nach einer Lösung. Wie kann ich den Moment genießen? Etwas mehr Gleichgewicht würde helfen. Das auf dem Kletterpfad fehlt doch gar nicht, nur das im Kopf!
Die Lösung kommt mir beim Gedanken an den jungen Mann, der mir die Einweisung für den Hochseilklettergarten gab. Seine Erscheinung und Hingabe lassen mich vermuten, dass er nur noch selten den Wald verlässt. Ich denke auch an die Kinder, Omas und Opas, die kurz nach mir denselben Pfad besteigen. An den Aufwand für die Instandhaltung des Klettergartens, wie gewissenhaft Kletterzubehör hergestellt wird, wie stabil Stahlseil ist. Und die null ernsthaften Unfälle, die es hier gab.
Vertrauen für mehr Balance im Kopf
Auf einmal spüre ich Vertrauen. Als ich merke, wie gut es sich anfühlt, will ich vertrauen. Diese kleine Entscheidung macht den Unterschied für mich. Ich beginne aktiv, dem Einweiser Vertrauen entgegenzubringen. Als auch dem Klettergurt und den beinahe unterarmdicken Karabinern am Selbigen. Ich spreche jedem einzelnen Stahlseil von Wipfel zu Wipfel mein Vertrauen aus. Und mit jedem Moment, in dem ich den Menschen und dem Material mein Vertrauen gebe, fühle ich mich sicherer.
Das Vertrauen ändert alles für mich. Prompt spüre ich Freude über den Ausflug heute und nehme die unendlich vielen Grüntöne wahr. Mein Körper beginnt sich zu entspannen, anstatt sich angespannt bei jeder Gelegenheit festzuklammern. Meine Mundwinkel zeigen das erste Mal nach oben. Ich atme frei und die moosige Waldluft, die trotz sengender Hitze frisch und leicht wirkt. So wie ich. Vom Horrortrip zum gelungenen Sonntagsausflug.
Vertrauen oder Kontrolle - ein Zusammenspiel
Es macht Sinn, das Equipment zu checken. Ein maroder Klettergurt? Nein danke. Aber wenn ich trotz professioneller Ausrüstung und überall TÜV-Süd-Klebern mein Leben an diesem wunderschönen Tag nicht genieße und schon auf der Plattform in zwei Metern Höhe verkrampfe, dann fehlt mir die Balance im Kopf. Vertrauen gibt mir mehr Balance. Besonders das Vertrauen in andere Menschen. Ganz besonders das Vertrauen in mich selbst und das Leben.
Ob ich bald wiederkomme und die schweren Routen gehe, jetzt, wo ich so viel Vertrauen habe? Ich glaube nicht. Meine Höhenangst ist doch zu nagend und auch mit Vertrauen ist es nicht einfach. Doch der Ausflug verdeutlicht mir etwas Wichtiges. Durch Vertrauen fokussiere ich mich auf das Positive und unterhalte nicht die negativen Gedanken. Vertrauen erlaubt mir, mit Zuversicht auf den Ausflug und das Leben zu blicken. Und es mit lockeren Atemzügen zu genießen.