Andreas wollte abnehmen, fünf bis zehn Kilo. Bei einer Größe von 1,85 m und rund 100 Kilogramm Körpergewicht würde er davon laut seines Arztes profitieren. Bei der letzten Untersuchung waren einige Biomarker erhöht bis bedenklich. Und „es wird ja nicht besser mit dem Alter", so der Arzt zu seinem 41-jährigen Patienten.
Abnehmen, so aussehen wie früher, in alte Klamotten passen und auch noch etwas für die Gesundheit tun? Damit konnte Andreas sich anfreunden. Und schnell hatte er einen Plan: Low Carb sollte es sein. Wie von den knackigen Social-Media-Influencer:innen angepriesen, die im Stundentakt auf seinem Handy anbimmelten. So wie die aussehen kann das so schwer nicht sein, dachte er sich.
„Meine Umsetzung? Viel mageres Fleisch, wenig Kohlenhydrate und jeden Tag Salat. Obst ist Tabu, weil es Zucker enthält“,
war er sich seiner Sache sicher. Und wichtig: die Kalorienrestriktion. Kalorienzählen gehört zum Abnehmen, wie der Knochen zu Fiffi. Das hatte er mittlerweile durch Magazine, die Facebook-Fitness-Familie und Bizeps-Bros gelernt. Also rein in die App mit den Daten, um Grundumsatz und Zielkalorien zu bestimmen. Damit er weiß, wie viel Lebensmittel er täglich abwiegen und essen darf.
Verzicht und Verlust
Den anfänglichen Erfolg sah Andreas als Bestätigung der Influencer-Methode. Abwiegen und Rechnerei passten ihm zwar nicht in die alltägliche Routine. Dennoch verlor er in den ersten Wochen vier Kilogramm.
Diese kurzfristige Errungenschaft gab ihm neue Motivation und Kraft, die monotone, fleischlastige Ernährung, als die er sie empfand, durchzuziehen. Ihm fehlten zwar frisches Obst, Abwechslung und vor allem auf Kohlenhydrate entwickelte er mitunter einen regelrechten Heißhunger. Aber:
„nur noch ein paar Wochen die Zähne zusammenbeißen bis zum Traumgewicht“,
sagte er sich. Ganz bis zum Ende der geplanten Diät hielt er es nicht durch. Zu stark waren seine Gelüste auf Obst, Kohlenhydrate und Abwechslung. Mit sieben Kilogramm Gewichtsverlust ist er aufs Erste zufrieden, dachte er und freute sich darauf, endlich wieder frei und mit Genuss zu speisen. Das Drama ließ jedoch nicht lange auf sich warten.
Alle Mühen verpuffen
Denn schon knapp drei Wochen später knallte es, aber so richtig. Als er das Gefühl hatte, wieder nicht in seine alten Klamotten zu passen, stellte er sich auf die Waage. Und stolperte beim Blick auf die Anzeige vor Schreck wieder rücklings von ihr. Er traute seinen Augen nicht. Fast war er wieder beim alten Körpergewicht angekommen, das sein Arzt als „bedenklich“ bezeichnet hat. Dem Gewicht, weswegen er all die Strapazen auf sich genommen hatte. Das ihm spätestens ab diesem Tag schlaflose Nächte bereitete.
„Wie kann das sein? Wie ist es möglich, dass ich in dieser kurzen Zeit den hart erkämpften Erfolg auf der Waage verspiele?“
Ihm wurde schwummrig bei dem Gedanken an seine Mühe und die Entbehrungen, die er nun umsonst ertragen hatte. Er fühlte sich schlechter denn je und ausgesaugter als die Wasserflasche nach dem Wüstenspaziergang. Für den Moment hatte er jegliche Lust auf die Beschäftigung mit der Ernährung verloren. Nachdem er die Süßigkeitenschublade geleert hatte, verspürte er zumindest Lust auf das abendliche Fernsehprogramm.
Wissenschaft spiegelt Andreas’ Erfahrungen
Andreas ist kein Einzelfall. Viele Menschen erleiden sein Schicksal. So lautet der Tenor der 15.000 Artikel in der medizinischen Online-Bibliothek PubMed, die bei der Suche nach dem Begriff "Gewichtsverlust" erscheinen. Nicht umsonst gilt Fettleibigkeit bei Forschern als Epidemie. Sie kostet Leben und Lebensqualität und Gesellschaften überall auf der Welt exorbitante Summen. Eine "Heilung", die Lösung für Übergewicht und wirksame Mittel für dauerhaften Gewichtsverlust sind nur im Ansatz erkennbar.
Viele der bislang getesteten Methoden und Prinzipien erwiesen sich als Schnellschüsse. So wie die Low-Carb-Ernährung, der eine Low-Fat-Ernährung bezüglich Gewichtsverlust ebenbürtig ist. Die Studien zeichnen Andreas’ Schmerz mit dem Jo-Jo nach. Meist klappt es mit anfänglichem Gewichtsverlust. Doch was danach kommt, treibt nicht wenige Wissenschaftler und Probanden regelmäßig zur Verzweiflung, so wie Andreas.
Neuorientierung – Der Blick nach Innen als Lösung?
Zufällig stieß Andreas nach Tagen auf einen dieser aussichtsreichen Ansätze, den Studien Menschen mit erfüllter Ernährungsweise abgeschaut hatten. Die vermeintliche Lösung für sein Problem fand er in einem Artikel mit der Überschrift „Yoga der Ernährung“. Und er ließ es zu. Obwohl er so gar nicht der Typ für Yoga ist, erzeugten die Ideen einen Widerhall in ihm.
Daraufhin probierte er sich mit seiner Atmung, beim Essen und abseits des Esstischs.
„Ruhig zu sitzen und die Mahlzeit die Hauptrolle einnehmen zu lassen, die sie verdient hat, empfinde ich als bereichernd“,
war er überrascht. Immer häufiger empfand er Dankbarkeit und Wertschätzung gegenüber seinen Mahlzeiten. Allmählich spürte er, dass seine Art und Weise zu essen Einfluss auf sein Essverhalten und seinen Tag nahm.
Zwischenzeitlich stellte er sich die Frage:
„Welche Ernährung deckt sich eigentlich mit meinen persönlichen Werten? Und passt zu meinem Lifestyle und erfüllt mich persönlich am meisten?“
Ernährung als Aufhänger für einen Perspektivwechsel
Noch war Andreas nicht bei seinem Traumgewicht angekommen. Aber er sah sich künftig als Reisender. Die gestärkte Innenansicht hat seine Beziehung zum Essen und seine Beziehung zu sich verändert. Fundamentaler, als jede Abnehmanleitung aus dem Internet.
„Mit Regeln, Anweisungen und Systemen wie Low Carb und 20 % Kalorienreduktion war es das für mich“,
legte er fest. Und entschied sich für den langsameren, ehrlicheren und nachhaltigeren Weg. Gemeinsam mit sich und nicht mit dem Social Media Influencer, der im Internet Abnehmpillen vertreibt, die in acht Wochen "den Strandkörper formen".
Er entdeckte, dass der Weg zum Traumgewicht lang, beschwerlich und mühsam sein kann. Oder aber eine Entdeckungsreise zu sich selbst, vollgepackt mit spannenden neuen Erfahrungen und Erkenntnissen.
Hindernis oder Schlüssel für ein erfüllteres Leben
Andreas fühlt sich wohler in seiner Haut als zuvor, obwohl er weit weg von seinem ursprünglichen Ziel ist. Mittlerweile hat er 2 Kilo verloren. Für ihn die Bestätigung, dass er so isst, wie es seinen Werten entspricht und ihm guttut. Er setzt auf viel Gemüse und versucht vielfältig zu essen.
Neue Hülsenfrüchte, Getreide, Samen und Nüsse werden von der Magie des Ausprobierens begleitet. Das inspiriert Andreas auf ungekannte Weise. Auch die Angst vor Obst hat er verloren und nutzt es heute, wenn er Lust auf Süßes hat.
Andreas ist dankbar für seinen Crash, den Jo-Jo-Effekt und seine Strapazen:
„Durch sie erkannte ich, dass die Verbindung zu mir der Schlüssel zu einer langfristig funktionierenden Ernährung ist.“
Zu einer Ernährung, die ihn ganz beiläufig bei der Gewichtsregulation unterstützt. Er hätte es nie für möglich gehalten, dass ihn seine Reise über die unangenehme Diät zu sich selbst führt. Und er das als Schlüssel zu einem insgesamt erfüllteren Leben empfindet.